22.05.2018
Hände hoch! war der letzte Film, den Skolimowski in Polen realisieren konnte, bevor er ins Exil ging | ||
(Foto: Jerzy Skolimowski / Filmmuseum München) |
Das Filmmuseum München zeigt eine vollständige Retrospektive zum polnischen Regisseur Jerzy Skolimowski – mit Archivkopien aus der ganzen Welt, die sein Leben im Exil widerspiegeln
Von Dunja Bialas
Polanski, Skolimowski, Zanussi, Zulawski: In den 1960er Jahren entfesselte sich in Polen ein Kino, das sich nicht um Erzählkohärenz und schon gar nicht um den staatstragenden Sozialrealismus scherte. Die polnische Neue Welle brachte Filme, wie sie auch andernorts in Europa und der Welt, jenseits und diesseits des Eisernen Vorhangs entstanden: Die sowjetischen »Tauwetter«-Filme, die französische Nouvelle Vague, der junge deutsche Film in der Nachfolge des Oberhausener Manifests und das brasilianische Cinema Novo brachten Bewegung in die Nationalkinematographien, die ansteckend wirkte. Erzähl- und Produktionskonventionen wurden über Bord geworfen, kreativer Anarchismus groß geschrieben und das Schicksal von listigen Überlebenskünstlern am Rande der Gesellschaft ins Zentrum gerückt. Mit einfachsten Mitteln entstanden Geschichten über strauchelnde Kleinkriminelle, traumhafte politische Parabeln oder kraftvolle Schicksalserzählungen, die die Welt filmisch auf den Kopf stellten. Ein politisches Kino à la Godard, das niemals vordergründig politisch ist, sondern in der Wahl seiner ästhetischen Mittel den Angriff auf das herrschende System wagt.
Jetzt wird Jerzy Skolimowski erstmals mit einer kompletten Retrospektive im Filmmuseum München geehrt. Keine Mühen wurden für die seit Jahren vorbereitete Gesamtschau gescheut und Archivkopien aus allen Winkeln der Welt zusammengetragen.
Boxer, Schauspieler, Regisseur
Jerzy Skolimowski, geboren 1938 in Lodz, ist Regisseur, Schauspieler, Maler, aber auch ein leidenschaftlicher, wenn auch heute nicht mehr kämpfender Boxer und Jazzliebhaber – letzteres gibt die gute Mischung aus Underdog und erzählerischem Drift, die seine frühen Filme kennzeichnet. Seinen allerersten Film überhaupt, den er auf der Filmhochschule von Lodz realisierte, nannte er Boks, »Boxen« (1959). In Andrzej Wajdas Die unschuldigen Zauberer (1960), der ihn als begnadeten Drehbuchautor entdeckte, spielte er – ungenannt – einen Boxer. Das war auch der Beginn seiner Schauspielkarriere, die ihn bis nach Hollywood bringen sollte. In David Cronenbergs Eastern Promises (2007) und in Joss Whedons The Avengers (2012) gibt er eindrucksvoll den Sowjet-Schurken.
Skolimowski ist Weggenosse von Vaclac Havel und Milos Forman, mit denen er zusammen auf die Schule ging, als seine Mutter Kulturbeauftragte in Prag war; Andrzej Wajda lernte er in einer Schreibwerkstatt kennen. Letzteres war eine wegweisende Begegnung, er begann mit dem Filmstudium und traf auf Roman Polanski. Für ihn schrieb er die Dialoge zu Das Messer im Wasser (1962) und mit ihm trat er die polnische Neue Welle los.
Sie zettelte eine ästhetische und erzählerische Rebellion an, die sich gegen die Vereinnahmung durch das sozialistische System stemmte und individuelle Draufgängergeschichten von erfindungsreichen Individuen entwarf, die sich eher dem Existentialismus als dem real existierenden Sozialismus verpflichtet sahen – eine treibende Kraft vieler Skolimoswksi-Filme wurde der Score des von John Coltrane beeinflussten Jazz-Komponisten Krzysztof Komeda.
Durchbruch: der polnische Antoine Doinel
Skolimowskis erste Filme, mit denen er bekannt wurde, bilden eine Tetralogie – Rysopis (Besondere Kennzeichen: keine) (1964), Walkower (1965), Bariera (1966) und Ręce do góry (Hände hoch!) (1967) – in der er sich, wie François Truffaut mit Antoine Doinel, ein Alter Ego schuf: Andrzej Leszczyc war sein Stellvertreter, nur spielt Skolimowski ihn auch gleich selbst (Ausnahme: Bariera). Unvernünftig und alle sozialistischen Privilegien in den Wind schlagend bringt sein Alter Ego sich selbst an den Rand der Gesellschaft, der letzte Teil der Tretralogie sollte folgenreich bereits sein letzter in Polen realisierter Film sein. Hände hoch! wurde als »antistalinistisch« klassifiziert und verboten. Erst 1981 konnte er in Folge der Solidarność-Bewegung in Polen gezeigt werden. Die gute Nachricht erhielt Skolimowski, als er mit Volker Schlöndorff in Beirut Die Fälschung (1981) drehte (FMM 25.6.). Er fügte seinem Film einen meisterlich essayistischen Prolog hinzu, in dem Bruno Ganz, Volker Schlöndorff und Alan Bates auftraten. Wenig später wurde das Kriegsrecht über Polen verhängt, und der politische Prolog musste wieder entfernt werden (FMM 26.5., in Anwesenheit von Jerzy Skolimowksi).
Skolimowski wurde nachhaltig von Krieg und Aufständen geprägt. Sein Vater kam 1943 im Konzentrationslager von Flossenbürg in der Oberpfalz um. Wehrmachtsalpträume und Minenfelder bestimmen die Atmosphäre seines somnambulen Bariera, in dem Skolimowskis Alter Ego mit einem aberwitzigen Sparschwein und explosiven Zigaretten sein donquijoteskes Glück sucht – eine durchgeknallte Parabel auf die Nachkriegsgesellschaft, die absurder Traumlogik gehorcht.
Vieräugiger Stalin und europäische Odyssee
Nach dem prompten Verbot des bis dato politisch radikalsten Hände hoch!, in dem ein vieräugiger Stalin als unbestechliche Visualisierung von der Überwachung der polnischen Bevölkerung kündet, begann für Skolimowski eine Irrfahrt durch Europa, die ihn von einem Land ins nächste führte und mit großartigen Darstellern zusammenbrachte. Sein erster im Ausland realisierter Film war Der Start (Belgien 1967) mit Jean-Pierre Léaud und Catherine-Isabelle Duport (FMM 27.5.). Der Film gewann den Goldenen Bären der Berlinale und machte Skolimowski in ganz Europa bekannt. Es folgten Filme mit Claudia Cardinale (The Adventures of Gerard, GB 1970) (FMM 1.6.) und Jane Asher, mit der er den zum Kultfilm der Midnight-Movies avancierten Deep End (GB 1970) drehte (FMM 2.6., in Anwesenheit von Kameramann Charly Steinberger). Ähnlich wie beim Russen Andrei Konchalowsky veränderte das Exil »sein« Kino. Seine Filme wurden professioneller, er drehte historische Filme, die sich ironisch-nostalgisch mit der Geschichte seines Heimatlandes auseinandersetzen oder auch Filme, die mit dem Genre liebäugeln.
Es folgen: eine magisch-absurde Nabokov-Verfilmung (King, Queen, Knave, USA 1972 mit Gina Lollobrigida und Mario Adorf) (FMM 3.6.), The Shout mit Alan Bates, John Hurt und Tim Curry (GB 1978) (FMM 8.6.), Moonlighting mit Jeremy Irons (GB 1982) (FMM 9.6.), Success Is the Best Revenge mit Michel Piccoli und Anouk Aimée (GB 1984) (FMM 10.6.), The Lightship mit Klaus Maria Brandauer und Robert Duvall (USA 1985) (FMM 15.6.), Torrents of Spring mit Nastassja Kinski und William Forsythe (GB 1989) (FMM 16.6.).
Rückkehr und spätes Comeback
1990 dreht er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zum ersten Mal wieder in Polen und kehrt auch zu einem polnischen Stoff zurück: Er adaptiert Witold Gombrowicz' Roman »Ferdydurke« (30 Door Key, Polen 1991, FMM 17.6.), der in Warschau von 1939 spielt, doch das Projekt lässt ihn am Filmemachen verzweifeln. Zu viele Kompromisse waren nötig, um den Film zu realisieren.
Erst siebzehn Jahre später beginnt er wieder als Regisseur zu arbeiten – dazwischen spielte er bei Tim Burton, Mika Kaurismäki und Julian Schnabel, und er malte (eine Auswahl seiner aquarellierten Grafiken ist derzeit im Filmmuseum München im Foyer zu sehen). Vier Nächte mit Anna (2008, FMM 22.6.), Essential Killing mit Vincent Gallo und Emmanuelle Seigner (2010, Großer Preis der Jury, Venedig, FMM 23.6.) und 11 Minut (2015, FMM 24.6.) wurden schließlich das späte Comeback eines zwischenzeitlich erzählerisch gereiften und wieder sehr selbstbewussten Filmemachers, der in der Heimat wieder zu sich finden konnte.
Das Schicksal von Skolimowski enthält auch das der osteuropäischen Künstler zu Zeiten des Kalten Kriegs. All dies spiegelt sich in seinen Filmen wider. Gar nicht auszumalen ist, wie das Werk dieses begnadeten Regisseurs ausgesehen hätte, wäre der Eiserne Vorhang nicht so stalinesk gewesen.
Retrospektive Jerzy Skolimowski: Rebel With Cause
Filmmuseum München, noch bis 24. Juni 2018
Beginn jeweils 21 Uhr
Jerzy Skolimowski ist am 26. Mai zu Gast, sein Kameramann Charly Steinberger am 2. Juni.
Kartenvorbestellung: 089 / 233 96 450
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